Die EU möchte der erste klimaneutrale Kontinent werden. Der Europäische Green Deal, das Europäische Klimagesetz und das Fit-for-55-Paket sind zentrale Schritte zur Stärkung der EU-Klimapolitik und zur Verwirklichung des Ziels der EU, eine Netto-Null-Emissions-Wirtschaft zu schaffen. Trotzdem ist die EU noch nicht auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050.
Defizite bei der Transformation zur Klimaneutralität
In den Bereichen Integration der Politikgestaltung, Infrastrukturaufbau für eine klimaneutrale Wirtschaft, Bereitstellung der erforderlichen öffentlichen und privaten Investitionen und Einsatz klimafreundlicher Innovationen in großem Maßstab bestehen noch mehrere Transformationslücken (Görlach et al., 2024).
Die Integration der Klimapolitik ist in den einzelnen Sektoren noch uneinheitlich und beispielsweise in der Landwirtschaft und im Verkehrswesen begrenzt. Außerdem ist die Koordinierung von Innovation, Investitionen und Infrastruktur unzureichend. Um Klimaneutralität zu erreichen, braucht die EU einen regierungsübergreifenden Ansatz, der sicherstellt, dass ihre Politik in allen Sektoren, Institutionen, Gesetzen und Maßnahmen auf Klimaneutralität ausgerichtet ist.
Der Infrastrukturausbau für eine klimaneutrale Wirtschaft geht bislang zu langsam voran, insbesondere bei der Energie- und Verkehrsinfrastruktur, was zum Teil auf eine fehlende Gesamtstrategie für transnationale Infrastrukturen zurückzuführen ist. Die EU muss daher ihre politischen Anstrengungen intensivieren, um eine EU-weite, klimaneutrale Infrastruktur zu schaffen.
Die EU steht vor einer Klima-Investitionslücke von mehr als 400 Milliarden Euro jährlich, und der bestehende Rahmen ist ungeeignet, Mittel dieser Größenordnung zu mobilisieren. Darüber hinaus steht die EU hinsichtlich ihrer Investitionen vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss nicht nur mehr klimafreundliche Investitionen tätigen, sondern auch Investitionen beenden, die die fossile Wirtschaft aufrechterhalten. Die EU muss ihre öffentlichen Fördermittel aufstocken und ihre Politik koordinieren, um eine ausreichende und zuverlässige Finanzierung in der Zukunft zu ermöglichen.
Auch in der gesamten Innovationskette mangelt es an Fortschritten, u. a. durch begrenzte und inkohärente Finanzierung und mangelnde Zielorientierung. Der größte Engpass ist jedoch die Umsetzung und Anwendung von Innovationen. Da nur noch zweieinhalb Jahrzehnte verbleiben, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, muss der Schwerpunkt auf dem Einsatz marktnaher oder marktreifer Technologien in Größenordnungen liegen. Politische Unterstützung durch Vorschriften, Finanzierung und strategische Ausrichtung ist hierfür entscheidend.
Transformative Governance-Anforderungen
Die Herausforderung, die EU-Wirtschaft auf Klimaneutralität umzustellen, erfordert eine transformative Klimapolitik, die mehrere Anforderungen vereint:
- Sie muss eine integrierte und partizipative Governance gewährleisten, um parallele und voneinander abhängige Entwicklungen in allen Sektoren zu koordinieren, übergreifende Herausforderungen in den Bereichen Innovation, Infrastruktur und Investitionen zu bewältigen und die gesellschaftliche Unterstützung durch die Einbeziehung von Interessengruppen und Akzeptanz sicherzustellen;
- Sie muss inmitten erheblicher Ungewissheit für Orientierung und Sicherheit sorgen, indem sie die Infrastruktur-, Investitions- und Regulierungsrahmen aufeinander abstimmt und auf diese Weise Unternehmen, Investoren und Verbrauchern eine bessere Vorhersehbarkeit der erforderlichen Maßnahmen bietet;
- Sie sollte die regionale Differenzierung und Experimente fördern, um die unterschiedlichen regionalen Stärken Europas zu nutzen und den Regionen die Möglichkeit zu geben, auf der Grundlage ihrer einzigartigen Ressourcen, Fähigkeiten und Infrastrukturen tätig zu werden;
- sie muss eine ausreichende und sichere Finanzierung durch koordinierte Ansätze sicherstellen, die öffentliche und private Investitionen kombinieren, die Steuerpolitik und die Finanzregulierung nutzen, um die Klimaneutralität zu erreichen und einen stabilen Investitionsrahmen zu gewährleisten; und
- die Marktdynamik zu nutzen, indem bestehende Märkte aufeinander abgestimmt oder neue Märkte geschaffen werden, um Lösungen zu beschleunigen, private Mittel zu mobilisieren und die Nachfrage nach klimaneutralen Lösungen anzukurbeln, indem marktorientierte Elemente wie das EU-Emissionshandelssystem gestärkt und Engpässe auf der Angebotsseite behoben werden.
Empfehlungen
Auf Grundlage einer umfassenden Analyse der bestehenden klimapolitischen Instrumente und des aktuellen Governance-Rahmens der EU kommt das 4i-TRACTION-Projekt zu dem Schluss, dass es in der gesamten EU-Klimagovernance noch verschiedene Lücken gibt. In der neuen Legislaturperiode 2024-2029 hat die EU die Chance, diese Defizite zu beheben und notwendige Anpassungen zugunsten der Klimaneutralität zu beschleunigen. In diesem Strategiepapier skizzieren wir zehn Empfehlungen für die künftige EU-Klimapolitik und erläutern deren Umsetzung:
- Dem Klima grundsätzliche Priorität einräumen und eine Politik vermeiden, die den Klimazielen erheblich schadet
- Kanäle für eine sinnvolle Bürgerbeteiligung öffnen
- Eine umfassende EU-Langzeitstrategie für Klimaneutralität
- Stärkung der EU-weiten integrierten Infrastrukturplanung
- Koordinierter und gesteuerter Ausstieg aus fossilen Brennstoffen
- Cluster zur Abstimmung von Innovation und Infrastruktur für klimaneutrale Lösungen
- Transformative öffentliche Finanzierung
- Ein europäischer langfristiger Klima-Investitionsplan zur Schließung des Klima-Investitionsdefizits
- Entwicklung europäischer grüner Leitmärkte für klimafreundliche Rohmaterialien
- Aufsichtsrechtliche Umstellungspläne für Banken