Am 1. und 2. April 2014 hielt Christiane Gerstetter, Senior Fellow im Legal Team des Ecologic Instituts, zwei Vorträge in Brüssel. Dabei ging es um Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (investor-state dispute settlement, ISDS) im Rahmen der gerade zwischen der EU und den USA verhandelten Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Basierend auf einer von Ecologic Institut zu diesem Thema verfassten Studie kam sie zu dem Schluss, dass die Aufnahme von ISDS in das Freihandelsabkommen unkalkulierbare Risiken für Umweltregulierung nach sich ziehen würde; dem stünden keine entsprechenden Vorteile gegenüber. Daher empfahl sie, Regelungen über ISDS nicht in TTIP aufzunehmen. Die Präsentationen stehen zum Download zur Verfügung.
Am 1. April 2014 sprach Christiane Gerstetter an der Saint-Luis Universität in Brüssel auf Einladung des Zentrums für Umweltrecht der Universität. Am 2. April 2014 hielt sie einen Vortrag im Rahmen einer Debatte über Handel und Nachhaltigkeit, organisiert von der Beobachtungsstelle für nachhaltige Entwicklung des europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses.
Aufbauend auf der früheren Studie des Ecologic Instituts "Investor-state Dispute Settlement under TTIP - a Risk for Environmental Regulation?" zeigte sie die Risiken für Umweltschutzbestimmungen im Zusammenhang mit Investitions-Schiedsgerichten auf, die Entscheidungen auf der Basis von weit formulierten Investitionsschutznormen treffen. Die Rechtsprechung zu Investitionsschutznormen (wie z. B. dem Schutz vor Enteignung) ist nicht einheitlich. Dies birgt Risiken. Diese zeigen sich in einigen aktuell laufenden Verfahren: Im Fall Vattenfall gegen Deutschland fordert das Energieunternehmen Schadensersatz von Deutschland unter dem Energiecharta-Vertrag, da seine existierenden Atomkraftwerke als Konsequenz des deutschen Atomausstiegs schließen müssen. In einem anderen Fall, Low Pine Resources gegen Kanada, fordert der Investor Schadensersatz von Kanada wegen eines Moratoriums für die Schiefergasförderung in bestimmten Regionen Kanadas, für die der Genehmigungen erhalten hatte.
Keine Investitionen ohne ISDS?
Außerdem diskutierte Christiane Gerstetter einige der zentralen Argumente, die zugunsten von ISDS in TTIP vorgebracht werden. Das erste Argument besagt, dass ISDS nötig ist, da Investoren nicht ausreichend durch nationale Rechtssysteme und Gerichte geschützt sind, an die sie sich auch wenden könnten. Dies könne dazu führen, dass Investoren nicht bereit seien, in einem anderen Land zu investieren.
Als Erwiderung auf dieses Argument führte Christiane Gerstetter die Tatsache an, dass die USA bisher nur bilaterale Investmentverträge mit einer begrenzten Anzahl von osteuropäischen EU-Mitgliedern geschlossen hat. Gleichzeitig gibt es weiterhin umfangreiche wechselseitige Investitionen zwischen den USA und Europa gibt; dies zeige, so Gerstetter, dass die Existenz oder nicht-Existenz von ISDS keinen entscheidenden Einflussfaktor bei Investitionsentscheidungen von EU- und US-Unternehmen darstellt. Sie zitierte außerdem eine Studie der London School of Economics zu Kosten und Nutzen von Investitionsschutzregeln in TTIP [pdf, 386 kB, Englisch]. Laut dieser Studie gibt es keine überzeugenden Beweise, dass bereits geschlossene US-Verträge mit Investitionsschutzklauseln konkrete Auswirkungen auf US- Auslandinvestitionen hatten, auch nicht in "riskanten Rechtssystemen". Laut dieser Studie sind also solche Klauseln kein verlässliches Mittel, um ausländische Direktinvestitionen zu fördern.
Kein ausreichender rechtlicher Schutz ohne ISDS?
Ein zweites, damit zusammenhängendes Argument ist, dass EU- und US-Gerichte internationalen Übereinkommen im Rahmen ihrer Rechtsprechung nur sehr begrenzt anwenden. Ohne ISDS würden deshalb, so ein Argument, Investoren ihre Rechte im Zusammenhang mit Investitionen vorenthalten. Bezüglich dieses Arguments stellte Christiane Gerstetter klar, dass in der Tat Individuen und Unternehmen ihre Forderungen vor dem Gerichtshof der EU in der Regel nicht auf internationale Wirtschaftsabkommen stützen können. Der EU Gerichtshof erkennt nur unter sehr begrenzten Umständen an, dass solche Vereinbarungen Unternehmen Rechte gewähren, und die Situation im US-Recht ist sehr ähnlich. Allerdings stellte sie auch klar, dass dies im Völkerrecht nicht ungewöhnlich ist: Internationale Abkommen werden zwischen Staaten geschlossen und definieren Rechte und Pflichten für diese Staaten, nicht für Individuen. Das bedeutet nicht, dass Investoren ohne ausreichenden rechtlichen Schutz bleiben; sowohl die EU als auch die USA sind rechtsstaatliche Systeme, die keine fundamentalen Mängel aufweisen durch die ausländische Investoren benachteiligt würden. Nationale Rechtsordnungen wie z. B. das deutsche Recht bieten Investoren rechtliche Garantien und Schutz vor Enteignungen, willkürlicher Behandlung und gewähren Vertrauensschutz.
ISDS in TTIP als Vorlage für zukünftige Verhandlungen?
Ein drittes häufig vorgebrachtes Argument besagt, dass ISDS-Regeln, auch wenn sie nicht in den Beziehungen zu den USA gebraucht werden, in TTIP aufgenommen werden sollten, da TTIP als eine Blaupause für zukünftige Investmentverhandlungen der EU mit anderen Staaten, insbesondere China, dienen kann. Als Antwort darauf betonte Christiane Gerstetter, dass es nicht unüblich ist, dass verschiedene Handels- und Investitionsvereinbarungen unterschiedliche Inhalte haben. Noch ist es unüblich dass Staaten, andere Staaten unterschiedlich behandeln. Beispiele dafür sind Visa-Bestimmungen oder Rüstungskontrolle.
Christiane nahm außerdem Bezug auf die laufenden öffentlichen Konsultationen der Europäischen Kommission zu TTIP im Allgemeinen und ISDS im Speziellen. Zwar könnten die Vorschläge der Kommission, wenn in TTIP aufgenommen, einige der Defizite des existierenden Systems beheben; dennoch sollten Regeln zu ISDS besser nicht in TTIP aufgenommen werden.