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Ecologic Institut Newsletter Nr. 234 – März 2022

Ecologic Institut Newsletter Nr. 234 – März 2022

Europas grüne Energiewende

Ecologic Institut Newsletter
Three beautiful carrier pigeons flirt on the ridge of the roof with solar panels against a clear blue sky

Putins Krieg und die grüne Energiewende

Europa sollte endlich ernst machen mit der Energiewende, jetzt da Putin seinen Krieg in der Ukraine und anderswo verstärkt. In der Politik schrumpfen Jahrzehnte zu Monaten und Jahre zu Tagen, so schnell versuchen fast alle Demokratien die Einfuhr von Gas, Öl, Kohle und Uran aus Russland zu verringern oder zu stoppen. Damit hätten sie schon im Jahre 2014 beginnen sollen, nachdem Russland die ukrainische Krim annektierte und Teile des Donbas mit eigenen "grünen Männern" sowie Stellvertretern besetzte.

In den letzten acht Jahren wurde nicht genug getan, aber zumindest wurden die Pläne eines neuen globalen Energiesystems klarer. Politischer Rückenwind beschleunigt nun die Energiewende hin zu intelligenter und effizienter Nutzung von erneuerbaren Energien sowie Flexibilität und Energiespeicherung in IT-basierten "smarten" Energiemanagementsystemen, in denen die Strom- und Wärmeversorgung mit dem Verkehrssektor, Gebäuden und Industrie gekoppelt werden. Die Entschlossenheit und der Mut der ukrainischen Bevölkerung sollte mit ähnlichem Ehrgeiz und Eifer im Kampf gegen die Erdüberhitzung und Übersäuerung der Meere beantwortet werden. All die guten Argumente für die Energiewende, damit die Erde für Menschen bewohnbar bleibt, haben im Kontext des Kampfes für Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung eine neue Bedeutung gewonnen.

Das hält die ewiggestrigen Freunde der fossilen Energien und die Atomlobby nicht davon ab, eine längere Nutzung der alten, dreckigen und gefährlichen Technologien zu fordern. Lassen wir uns nicht täuschen, Atomkraft ist kein Ersatz für Gas oder Öl und Kohle, denn beide sind ähnlich unflexibel und damit unfähig, die gut berechenbare Fluktuation bei der Erzeugung erneuerbarer Energien und der Energienachfrage zu kompensieren. Das konnte bisher nur Gas.

Schon aus wirtschaftlichen Gründen wären Investitionen in neue fossile Energieerzeugung oder gar Atomkraft eine Verschwendung von Geld, Talenten und Zeit. Es würde auch zu Lock-In-Effekten führen, die künftige Bemühungen um Netto-Null-Emissionen erschweren würde. Energieeffizienz und Elektrifizierung des gesamten Systems sind der Schlüssel zum Erfolg, sowohl für die Resilienz der Energieversorgung, aber auch für den Klimaschutz, solange sichergestellt ist, dass die Energie aus erneuerbaren und nachhaltigen Quellen stammt.

Es gibt viele Modelle und Studien, die versuchen zu erklären, was sich in Energiesystemen und auf Energiemärkten als Folge des erzwungenen Ausstiegs Russlands aus den Rohstoffmärkten tun wird. Verbraucherpreise werden steigen, und der Verbrauch fossiler Energie wird sinken; in ein paar Monaten wissen wir um wie viel. Dies bringt vor allem die einkommensschwachen Länder und die Armen in den reichen Ländern in Bedrängnis. Ihnen muss geholfen werden.

Am besten wäre es, die Haushalte dabei zu unterstützen, energieeffizienter leben zu können. Doch das wird Zeit brauchen. Jetzt aber ist kurzfristige Unterstützung gefragt. Dafür bieten sich pauschale pro-Kopf-Zahlungen an, um den Verlust an Kaufkraft auszugleichen, ohne dabei das Preissignal zu dämpfen, das da sagt: Fossile Energien sind richtig teuer, wenn man den Schaden berücksichtigt, den sie Klima, Frieden und Freiheit zufügen.

Die Energiesicherheit ist in den Vordergrund der energiepolitischen Debatte gerückt, insbesondere im Hinblick auf die Erdgaseinfuhren aus Russland. Erdgas ist ein Rückgrat unseres Energiesystems. Es wird in der Industrie eingesetzt und wärmt unsere Häuser. Außerdem ist Gas im Gegensatz zu Kohle- und Atomenergie hochflexibel und damit auch für Spitzenlaststrom einsetzbar.

Würde man jedoch die Batterien, z. B. von Elektrofahrzeugen oder Häusern, mit Stromnetz verbinden und – eingebettet in ein rechtlich wie technisch tragfähiges System – als Speicher nutzen, könnten Spitzenlasten abgepuffert und teure Gaskraftwerke eingespart werden.

Als Nebeneffekt würde – bei richtiger Marktgestaltung – die Nutzung bereits vorhandener Batterien das Stromnetz kostengünstig stabilisieren. Mit genug politischem Willen und einer zügigen Abstimmung kann das schnell gehen, denn die dafür notwendige Technologie ist oft schon installiert. Es fehlen nur ein entsprechender Regelungsrahmen und Tarife mit den nötigen Anreizen.

R. Andreas Kraemer
Gründer, Ecologic Institut

Veröffentlichungen

Ehrgeizige Klimaziele erreichen und die nationale Sicherheit stärken – Artikel

Der Krieg in der Ukraine ist der Auslöser für eine umfassende Neugestaltung der Energiepolitik in Europa. Europäische Staats- und Regierungschefs drängen nun auf eine schnellere Umstellung auf erneuerbare Energien. Ihre ehrgeizigen Pläne sehen vor, den Einsatz von Solarenergie zu beschleunigen und die Kapazitäten für saubere Energie bis 2030 zu verdreifachen. Im Artikel "Will Russia's War Spur Europe to Move on Green Energy?" von Paul Hockenos erläutern R. Andreas Kraemer und Sascha Müller-Kraenner, beide Gründer des Ecologic Instituts, die Chancen und möglichen Wege einer beschleunigten Energiewende und der Unabhängigkeit von russischem Gas.

Russlands Krieg in der Ukraine – Warum eine Ausweitung des europäischen Grünen Deals die beste Strategie ist – Artikel

Da die russische Invasion in der Ukraine weiterhin einen hohen Tribut fordert, müssen die Staats- und Regierungschefs Maßnahmen ergreifen, die die Ukraine unterstützen und gleichzeitig die strategische Autonomie des Blocks gegenüber Moskau stärken. Der europäische Grüne Deal wird für den Erfolg dieser Strategie entscheidend sein. Dieser online verfügbare Meinungsbeitrag erklärt warum. Er wurde von den geschäftsführenden Direktorinnen und Direktoren des Think-Sustainable-Europe-Netzwerks unterzeichnet.

Herausforderungen und Chancen für den Ressourcen-Nexus im europäischen Grünen Deal – Bericht

Dieser Hintergrundbericht des Ecologic Instituts untersucht den europäischen Grünen Deal aus der Ressourcen-Nexus-Perspektive. Er identifiziert Herausforderungen und Chancen, die mit spezifischen Transformationspfaden zu mehr Nachhaltigkeit des europäischen Grünen Deals beitragen können. Der Bericht steht als Download zur Verfügung.

Die politische Ökonomie der Kohle – Buch

Dieser Sammelband bietet einen Überblick über die politische Ökonomie der Kohle in verschiedenen Ländern. Er enthält 15 Fallstudien, die entlang eines harmonisierten Rahmens durchgeführt wurden. Untersucht wurden Industrie- und Entwicklungsländer, Kohleimporteure und -exporteure sowie Länder, die entweder in großem Umfang Kohle verbrauchen, gerade damit beginnen, ihre Kapazitäten auszubauen, oder bereits einen Kohleausstieg eingeleitet haben. Der von Dr. Michael Jakob (Ecologic Institut) herausgegebene Sammelband ermöglicht, Schlussfolgerungen zu den wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Kohlenutzung in verschiedenen Ländern zu ziehen. Er steht zum Download zur Verfügung.

Über einen G7-Klimaclub zu mehr globalen Klimaschutz? – Optionen für die deutsche G7-Präsidentschaft

Die deutsche Regierung hat die Bildung eines "für alle Staaten offenen und kooperativen" Klimaclubs ganz oben auf die Agenda ihrer G7-Präsidentschaft gesetzt. Aber was ist ein Klimaclub? Und welche Art von Klimaclub sollte der deutsche G7-Vorsitz vorantreiben? Dieser Policy Brief des Ecologic Instituts gibt erste Antworten auf diese Fragen und formuliert Empfehlungen für die deutsche Ratspräsidentschaft.

Klimaschutzpolitik in der EU für Netto-Null qualifizieren – Wissenschaftliches Positionspapier

Im wissenschaftlichen Positionspapier "Making EU Governance Fit for Net Zero" analysiert Matthias Duwe vom Ecologic Institut die bestehende Landschaft der Klimaschutz-Governance anhand von acht Kernparametern auf EU-Ebene und für die Mitgliedstaaten. Es zeigt verbleibende Schwachstellen auf und benennt spezifische Verbesserungsmaßnahmen, wie die Aktualisierung der NECP 2023-2024 und der nationalen LTS, sowie die neuen Fortschritts- und Konsistenzbewertungen gemäß dem EU-Klimagesetz. Das Positionspapier steht als Download zur Verfügung.

EU-Politik fit für die Klimaneutralität machen – Policy Brief und Bericht

Was macht Klimapolitik transformativ? Eine transformative EU-Klimapolitik muss sich der Herausforderung stellen, die Europäische Union in ihrer Gesamtheit klimaneutral zu gestalten. Ein Bericht des 4i-TRACTION-Projekts, mitverfasst von Benjamin Görlach vom Ecologic Institut, beschreibt, was Transformation und transformative Politik in Hinblick auf die Herausforderungen der Klimaneutralität bedeuten. Er beschreibt vier "Kennzeichen" eines transformativen Ansatzes in der Klimapolitik. Zudem erörtert er die vier bereichsübergreifenden Herausforderungen, die die EU-Klimapolitik angehen muss – die 4 i's, die auch im Mittelpunkt des 4i-TRACTION-Projekts stehen. Der Bericht und zusammenfassende Policy Brief stehen als Download zur Verfügung.

Forschung kollaborativ gestalten: Leitlinien für eine gute Praxis – Briefing Note

Das Ecologic Institut erstellte Gute-Praxis-Leitlinien für die Co-Kreation von Forschungsprojekten. Die Leitlinien stützen sich auf Erfahrungen aus dem Horizont-2020-Projekt COACCH (Co-designing the Assessment of Climate Change Costs). Basierend auf einer umfangreichen Evaluierung erarbeitete das Autorenteam Lessons learnt und schlägt einen schrittweisen Leitfaden für Co-Kreation von Forschungsprojekten vor. Für jeden Schritt skizzieren die Autorinnen und Autoren Aktivitäten, zeigen Beispiele und geben Umsetzungshinweise. Entscheidende Elemente für den Erfolg sind u. a.: engagierte Wissensvermittelnde, die die Zusammenarbeit gestalten, sowie regelmäßige und transparente Kommunikation. Die Briefing Note steht als Download zur Verfügung.

Eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe – Artikel

Dieser Artikel von Linda Mederake (Ecologic Institut) reflektiert das 59. Tutzing Symposion, welches unter dem Titel "Polymers for a better life and circular economy" im Oktober 2021 stattfand. Er gibt einen Überblick zu den aktuellen gesellschaftlichen Debatten um die Kunststoffkreislaufwirtschaft sowie Einblicke in bestehende politische Regulierungen, aktuelle Herausforderungen und mögliche zukünftige Entwicklungen dieses gesellschaftlichen Großprojekts.

Ist Mikroplastik schädlich? – Infografik

Ob Mikroplastik schädliche Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere hat, lässt sich bisher nicht eindeutig nachweisen. Die unterschiedlichen Eigenschaften von Mikroplastik bestimmen, ob und wie das Mikroplastik von Lebewesen aufgenommen wird und ob es für diese schädlich ist. Die Infografik des Ecologic Instituts hierzu steht als Poster (A2) zum Download zur Verfügung.

Veranstaltungen

Plastik in der Umwelt – Wissen.Forschung.Innovation. – Thementag

Die Folgen unseres zunehmenden Plastikverbrauchs sind überall auf der Welt sichtbar. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierte bereits 2017 den großen Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt – •Quellen • Senken • Lösungsansätze", um dem immer noch lückenhaften Kenntnisstand entgegenzuwirken. Insgesamt 20 Forschungsprojekte mit mehr als 100 beteiligten Institutionen haben sich seitdem mit ganz unterschiedlichen Aspekten der Problematik befasst. Die Erkenntnisse dieser Forschungen werden am 6. Mai 2022 in Berlin beim "Thementag: Plastik in der Umwelt – Wissen.Forschung.Innovation." allen Interessierten vorgestellt.

Klimaklagen: Was kann der Globale Norden vom Globalen Süden lernen? – Lunch Talk

In einem gemeinsam mit dem Ecologic Institut organisierten Online-Symposium veröffentlichen Verfassungsblog und Völkerrechtsblog zu diesem Thema vom 21. bis 25. März 2022 Blog-posts von Forschenden aus der ganzen Welt. In einem Lunch Talk am Donnerstag, dem 24. März 2022, 14:00-15:00 Uhr (MEZ), sprechen wir in diesem Zusammenhang mit einem der Autoren, Sam Bookman von der Harvard Law School, über das Thema "The Constitutional Dimension of Climate Litigation" und diskutieren mit ihm erste Erkenntnisse aus dem Symposium. Wir laden Sie dazu herzlich ein!