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Den schlafenden Riesen wecken – Instrumente für mehr Energieeffizienz in der EU

19. Climate Talk
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Den schlafenden Riesen wecken – Instrumente für mehr Energieeffizienz in der EU

Veranstaltung
Datum
Ort
Berlin, Deutschland
Aktive Rolle
Martin Bornholdt (Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz e.V.)
Tobias Krug (WWF Deutschland)

"Den schlafenden Riesen wecken - Instrumente für mehr Energieeffizienz in der EU" war das Thema des 19. Climate Talk, zu dem Dr. Camilla Bausch und Benjamin Görlach vom Ecologic Institut und Dr. Susanne Dröge von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Juni 2011 eingeladen haben.

Die Energieeffizienz spielt unbestritten eine Schlüsselrolle für die Erreichung der europäischen Klimaschutzziele. Die Europäische Kommission bezeichnet Energieeffizienz selbst als größte Energieressource. Expertinnen und Experten betonen immer wieder, dass sie der günstigste und damit volkswirtschaftlich vorteilhafteste Beitrag zum Klimaschutz sei.

Ungeachtet dieser Vorteile hinkt die EU bei der Erreichung selbstgesetzter Ziele aber hinterher. Bereits 2006 hatte man sich in Brüssel zum Ziel gesetzt, bis 2020 den Bedarf an Primärenergie um 20% zu senken. Die bisher getroffenen Maßnahmen dürften jedoch bestenfalls die Hälfte hiervon erwirken. Die Europäische Kommission legte deshalb nach und wollte mit der Verabschiedung eines Energieeffizienzplans Anfang 2011 aufzeigen, wie das Effizienzziel doch noch erreicht werden könnte. Doch auch der Plan bleibt hinter den Erwartungen von Klimaschützerinnen und Klimaschützern zurück. Weder wurde das 20%-Ziel rechtsverbindlich verankert, noch wurden nationale Minderungsziele formuliert. Der Plan erschöpft sich in Empfehlungen an die Mitgliedstaaten für Maßnahmen in den Bereichen Gebäude, Verkehr und Industrie. Die Durchschlagkraft solcher Empfehlungen ist fraglich, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten bisher nur sehr begrenzt willens waren, Maßnahmen in diesen Sektoren zu ergreifen.

Die einleitenden Impulsreferate hielten Martin Bornholdt (DENEFF Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz e.V.) und Tobias Krug (WWF Deutschland).

Martin Bornholdt erläuterte, dass das Thema Energieeffizienz nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Relevanz habe. Dahinter verberge sich ein großes Geschäftsfeld für Unternehmen. Dies werde von der Politik zu wenig berücksichtigt. Dienstleistungen und Produktanbieter rund um die Energieeinsparung seien nur Teil eine Branche mit vielen kleinen Unternehmen. Dabei seien die Potentiale enorm. Dies würden die Ergebnisse der Studie "Modell Deutschland - Klimaschutz bis 2050" verdeutlichen, die im Auftrag des WWF erstellt wurde. Die vorhergesagten Zuwachsraten bis 2020 für die Branche seien hoch - bis zu 13 Prozent. Die potentiellen Umsätze im Markt für Energieeffizienz würden bis zu 140 Mrd Euro reichen. Einsparungen bei Energie und Wärme generieren Renditen, die, wenn sie in die heimische Wertschöpfung flössen, zusätzliche Investitionen hervorbringen können. Investitionen in Energieeinsparung würden sich lohnen, da sie immer mit Einsparungen bei den Energiekosten einhergehen würden. Investitionen von 11 Mrd. Euro könnten schätzungsweise Energieeinsparungen von 19,3 Milliarden erzielen. 260.000 neue Arbeitsplätze könnten entstehen. Um dieses Potential auszuschöpfen, müsse jedoch die Verbindlichkeit des Einsparziels der EU von 20 Prozent bis 2020 deutlich steigen. Dies würde keinesfalls eine De-Industrialisierung bedeuten. Vielmehr sei die Festigung der Energieproduktivität notwendig für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Auch Entwicklungen auf den Finanzmärkten unterstützen diese These: Rating-Agenturen berücksichtigen bei der Bemessung des Aktienwertes eines Unternehmens inzwischen auch dessen Energieproduktivität.

Tobias Krug ergänzte die Unternehmensperspektive um systemische Aspekte. Er beschäftigte sich mit der Frage, was Energieeffizienz für eine Volkswirtschaft im Allgemeinen bedeutet. Die notwendige Energieeffizienzpolitik müsse im Zusammenhang mit der gesamten Klima- und Energiepolitik gesehen werden. Wenn bis 2050 95 % weniger Treibhausgasemissionen in Deutschland im Vergleich zu 1990 ausgestoßen werden sollen sei zu fragen: Ist das möglich? Was kostet das? Was bedeutet das für Deutschland? Die Studie "Vom Ziel her denken" für den WWF habe diese Fragen beantwortet. Bei einem solchen Ziel bis 2050, müssen die Energieproduktivität und der Beitrag von erneuerbaren Energien stark ansteigen, denn auf sie entfielen zwei Drittel der möglichen Einsparungen. 60% der Einsparungen von Treibhausgasen hingen zudem an langfristigen Investitionen. In allen Bereichen seinen erhebliche Investitionssprünge notwendig. Als politische Strategie böte sich ein Mix von Maßnahmen an ("push&pull"). Zum einen müssen der Wettbewerb und die verschiedenen Akteure gefördert sowie zum anderen gezielt Innovationen vorangetrieben werden. Finanzierungskonzepte sowie Marktdesign müssten entwickelt werden, aber auch das Ordnungsrecht zum Einsatz kommen. Effizienzsteigerung könne ein Eckpfeiler für alle Sektoren sein, wenn es um die systematische Ausrichtung am Klimaziel geht

In der anschließenden Diskussion um konkrete politische Instrumente - z.B. flexible Mengensteuerungssysteme und steuerrechtliche Anreize - wurde darauf hingewiesen, dass die EU Effizienzrichtlinie aus der Richtlinie zu Energiedienstleistungen hervorging, für die ein Markt geschaffen werden sollte. Argumenten gegen ordnungsrechtliche Maßnahmen kann durchaus mit positiven Erfahrungen begegnet werden - oft haben sich nach ersten Kostensteigerungen Preisanpassungen nach unten (Skaleneffekte) eingestellt. Stringentere Instrumente sind allerdings kaum zu erwarten, wenn die zu erreichenden Effizienzziele nicht verbindlich sind. Im EU-Entwurf zur Energieeffizienzrichtlinie gibt es aufgrund des Widerstands einzelner Mitgliedsstaaten nur indikative Ziele. Insgesamt wurde der Richtlinienentwurf als unzureichend bewertet. Beispielsweise wurde eine wesentliche Maßnahme - die Auferlegung einer jährlichen Energieeinsparmarke in Höhe von 1,5 Prozent von Energieversorgern durch die Mitgliedstaaten - abgeschwächt, da nun Mitgliedstaaten vermutlich auch andere, weniger durchgreifende Alternativmaßnahmen (z.B. im Bereich Gebäudesanierung) anwenden können werden.

Insbesondere die Zurückhaltung in der Politik wurde kritisch diskutiert. Dies könne am hohen Steuerungsaufwand und der Unsicherheit bezüglich der Instrumente zur Umsetzung von Energieeinsparungen liegen. Zudem müssen weitreichende Veränderungen der Anreizstrukturen für den Energieeinsatz durch die Abschaffung von Subventionen und Einsatz neuer Förderungsmaßnahmen erreicht werden. Die errechneten Potentiale für den Arbeitsmarkt scheinen nicht zu reichen, um den Willen zu mehr Verbindlichkeit zu erhöhen. Aber gerade bei der Energieeinsparung müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen Energiedienstleistungsmarkt stimulieren und die längerfristigen Investitionen anregen. Eine Lobby für diesen Markt scheint es im Gegensatz zur Interessenvertretung der energieintensiven Branchen nicht zu geben.

Detailliert wurde auch über den Einsatz von Weißen Zertifikaten in einem System verpflichtender Effizienzziele debattiert. Dieses Instrument wird im Rahmen von Energieeinsparprogrammen in einigen EU Ländern praktiziert und hat zu unerwarteten Effekten geführt - Energieversorger in Großbritannien, die über die Zertifikate den Anreiz zur Unterstützung sozial schwacher Haushalte bei der Energieeinsparung haben, sehen diesen Weg inzwischen als wichtigen Teil der Kundenbindungsstrategie an. Hingegen waren die Erfahrungen in Italien und Frankreich weniger positiv, da es an der Fokussierung der Zielvorgaben fehlte.

Die Schwächen des Vorschlags für eine Energieeffizienzrichtlinie eröffnen aus Sicht der Diskutierenden aber auch Chancen: Die Mitgliedstaaten könnten auf nationaler Ebene smartere Ansätze anstreben. Der Markt für Energiedienstleistungen sollte im Mittelpunkt stehen. Steigende Energiepreise allein werden nicht ausreichen, um mehr Nachfrage zu generieren, hingegen könnten zum Beispiel Fonds- und Umlagesysteme einen Marktaufbau unterstützen.

Nach der Veranstaltung wurde die angeregte Diskussion in entspannter Atmosphäre in einem nahegelegenen Restaurant fortgesetzt.

Kontakt

veranstaltet von
Aktive Rolle
Martin Bornholdt (Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz e.V.)
Tobias Krug (WWF Deutschland)
Team
Datum
Ort
Berlin, Deutschland
Sprache
Deutsch
Participants
30
Schlüsselwörter
Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Energieproduktivität, Klimaschutz, flexible Mengensteuerungssysteme, Energiesteuer, weiße Zertifikate, Effizienzrichtlinie