Schiefergas und Fracking – (k)eine Energierevolution in Europa?
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- Ort
- Berlin, Deutschland
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Prof. Dr. Dietrich Borchardt (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ)Dr. Heinrich Herm Stapelberg (Exxon Mobil)Bernd Kirschbaum (Umweltbundesamt)
Der 21. Climate Talk am 6. März 2012 widmete sich Fragen rund um "Schiefergas und Fracking - (k)eine Energierevolution in Europa?"
Das Schiefergas - Erdgas in unterirdischen Gesteinsformationen - hat auch in Europa für Hoffnungen auf eine neue Energierevolution gesorgt, die in den USA bereits eingetreten ist. Da das Gas mit der Technik des "hydraulic fracturing", kurz "Fracking", unter Einsatz großer Mengen Wasser, Sand und Chemikalien freigesetzt werden muss, werden die damit einhergehenden potentiellen Umweltfolgen intensiv und kontrovers diskutiert.
Der Climate Talk diskutierte vor allem die Risiken der Schiefergasgewinnung sowie den potentiellen Regulierungsbedarf in Deutschland und der EU. Die Impulsreferate zu den technischen Möglichkeiten und Risiken sowie dem Stand der Regulierungsdebatte stammten von Prof. Dr. Dietrich Borchardt (UFZ, Leipzig), Dr. Heinrich Herm Stapelberg (Exxon Mobil) und Bernd Kirschbaum (Umweltbundesamt).
Prof. Dr. Dietrich Borchardt erläuterte die Fragen, mit denen sich ausgewählte Expertinnen und Experten zurzeit in einem von der Industrie eingeleitetem Dialogprozess zu der Gewinnung von Schiefergas befassen. Die Bohrtechnologie, mit der das Gas aus der Tiefe geholt wird, sei bereits in Anwendung, zum Beispiel im Rahmen einer optimierten Gasgewinnung aus konventionellen Erdgas-Reservoirs. In drei Bereichen sei eine weitere Klärung potentieller Folgen der Fracking-Technologie notwendig. Erstens gehe es um mögliche stoffliche Veränderungen, wenn Wasser, versetzt mit Chemikalien, unter hohem Druck in tiefe Gesteinsschichten eingebracht werde. Zweitens müssten alle Risiken rund um die Folgen für Grundwasser, Trinkwasser und Ökosysteme bewertet werden. Hierzu gebe es bereits langjährige Erfahrungen aus der chemischen Industrie. Ziel solle es sein, Störfälle beherrschbar zu machen. Drittens müsse eine umfassende rechtliche Analyse erfolgen, die bereits bei der Erschließung von Lagerstätten einsetzt und alle relevanten Rechtsgebiete einschließe, wie z.B. das Bergrecht oder das Wasserrecht. Zusammenfassend sagte Herr Prof. Dr. Borchardt, dass es sich beim Fracking generell um eine risikobehaftete Technologie handele. Die Risiken seien aber handhabbar. Vor allem bezüglich der umweltbezogenen Risiken gebe es noch Spielraum für eine Nachbesserung der Regulierung. Konkrete Empfehlungen seien bisher aber nicht möglich. Allerdings würden die Expertinnen und Experten nach ihren bisherigen Ergebnissen die unterirdischen Risiken geringer einschätzen als bisher in der Öffentlichkeit diskutiert. Demgegenüber halte man die oberirdischen Risiken - z.B. das Auslaufen von Chemikalien in den Boden - für höher als bisher dargestellt. Zu der Klimabilanz des Schiefergases sei bisher noch keine Aussage möglich, da die Datenlage hierzu noch unzureichend sei.
Dr. Heinrich Herm Stapelberg zeigte die wachsende Bedeutung der unkonventionellen Erdgasreserven im weltweiten Energiemix auf. In den USA habe Schiefergas das Flüssiggas aus dem Markt verdrängt. Er erklärte insbesondere, was beim Fracking in 3.000 bis 5.000 Metern Tiefe passiert: Im Gestein werden Haarrisse erzeugt, um das darin festsitzende Gas herauszudrücken. Dabei diene Sand als Stützmittel, mit dessen Hilfe die Risse im Gestein offengehalten würden, so dass das Gas herausströmen könne. Die eingesetzten Chemikalien seien aus drei Gründen notwendig. Erstens veränderten sie die Viskosität der Mischung, so dass der Sand effektiv in die Ritzen gepresst werden könne. Zweitens dienten sie dazu, das Wasser-Sand-Gemisch wieder zu trennen, so dass das Wasser wieder herausgepumpt werden könne. Drittens seien Biozide gesetzlich vorgeschrieben, um keine unterirdische Verunreinigung mit Mikroorganismen von der Erdoberfläche zu verursachen. In Deutschland sei 1961 das erste Mal "gefrackt" worden, und seither habe es bereits 300 solcher Frackingvorgänge gegeben. Weltweit beliefe sich diese Zahl auf 1,2 Millionen Fracks. Das Marktpotential für Schiefergas in Deutschland schätzte Herr Stapelberg auf bis zu 100 Milliarden Euro (bis 2030). Derzeit seien vor allem Lagerstätten in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vielversprechend.
Herr Bernd Kirschbaum berichtete aus Sicht der Umweltbehörden von der überraschenden Dynamik, welche die Diskussion rund um das Fracking seit dem Herbst 2010 geprägt habe. In Folge sprunghaft zunehmender Anfragen an das UBA, hatte dieses im August 2011 eine erste Stellungnahme zu dem Verfahren verfasst. Herr Kirschbaum erläuterte kurz die bergrechtlichen Grundlagen. Es müsse zwischen Aufsuchung und Gewinnung unterschieden werden. In Deutschland wurden bisher nur Genehmigungen zur Aufsuchung potentieller Fracking-Standorte erteilt; in Nordrhein-Westfalen beispielsweise sei bereits auf 50% der Landesfläche eine Aufsuchung möglich. Bewilligungen zur Gewinnung von Schiefergas gebe es aber bislang keine. Aus Sicht des UBA müssten zunächst Flächenverbrauch, Lärmbelästigung, Wasser- und Grundwasserbelastungen umfassender geprüft werden. Die Risiken des Fracking seien zwar bekannt, aber es fehle weiterhin an einer hinreichend soliden Bewertungsgrundlage. Insbesondere die Risiken an der Oberfläche müssten genauer betrachtet werden. Das UBA habe bereits eine Studie zur Untersuchung der Auswirkungen auf das Wasser in Auftrag gegeben. Außerdem bedürfe es einer umfassenden rechtlichen Analyse, die vor allem die Schnittstelle zwischen Wasser- und Bergrecht untersuchen muss. Es zeichneten sich bereits rechtliche Defizite und folglich Regulierungsbedarf ab. Problematisch sei vor allem, dass die Umwelt kein Schutzgut im Bergrecht darstelle. Das Bergrecht profitiere derzeit auch von Ausnahmen in der Wasserrahmenrichtlinie. Die Schwellenwerte für das Erfordernis einer Umweltverträglichkeitsprüfung müssten erhöht werden, um Fracking zu erfassen. Außerdem müsse der Grundwasserbegriff näher betrachtet werden - dies übrigens auch im Hinblick auf andere Technologien, z.B. der CO2-Abscheidung und -Sequestrierung (CCS) sowie der tiefen Geothermie. Erste notwendige Mindestvoraussetzungen für die Regulierung seien schon in der Stellungnahme des UBA formuliert worden, beispielsweise die Einführung eines Katasters zur Überwachung der eingesetzten Chemikalien. Bisher befasse sich das UBA nur mit Schiefergas, aber auch zu Gas aus Kohleflözen oder dem so genannten "tight gas" sollen Analysen folgen.
In der anschließenden Diskussion wurde zum einen auf die Frage nach der Bedeutung von Schiefergas im Kontext der deutschen Energiewende eingegangen. Diese sei mit hohen Unsicherheiten behaftet, weil nicht klar sei, wie groß die Investitionen in Gaskraftwerke ausfallen würden. Auch die Klimabilanz (Schiefergas versus Kohle) werde hier mit einbezogen werden müssen. In diesem Zusammenhang wurde auch gefragt, welche Rolle der Gesetzgeber spielen sollte, wenn die ökonomische Bedeutung von Schiefergas unterschiedlich hoch eingeschätzt werde.
Der Umgang mit der Nachsorge und Haftung wurde ebenfalls angesprochen. Zu den Risiken würden auch seismische Veränderungen gehören, die zum Beispiel in Großbritannien aufgetreten seien. Diese würden aber in Deutschland von den Bergbauämtern geprüft, genauso wie die geologischen Gegebenheiten. Haftungsfragen seien aber auf jeden Fall kritisch, denn ohne eine gutes Monitoring werde es schwierig, geltend gemachte Schadensansprüche korrekt zu bewerten bzw. dem Fracking oder anderen Ursachen zuzuordnen.
Eine rege Diskussion entstand auch um die in den USA aufgetretenen Konflikte (Stichwort "brennende Wasserhähne"). In Pennsylvania fehlte unter anderem eine Erhebung von Baseline-Daten, bevor mit dem Fracking begonnen wurde. Es sei deshalb unklar, ob nicht bereits vorher Methan im Trinkwasser vorhanden gewesen sei, das natürlicherweise in Aquiferen vorkommen könne. Zudem sei dort der Umgang mit Wasser bzw. Grundwasser kaum reguliert, und der Zugang zu den unterirdischen Ressourcen sei jedem Grundstückseigentümer möglich. Die Situation unterscheide sich somit fundamental von der in Deutschland oder anderen EU-Staaten. Daher sei das Monitoring vor und während der Gewinnung von Schiefergas sehr wichtig. Oberirdische Unfälle könnten zudem unbeherrschbar werden, wenn nicht genügend Vorsorge getroffen wurde.
Da die Standards für den Umweltschutz beim Fracking international so unterschiedlich ausfallen, wurde auch argumentiert, dass bei der Ausbeutung in Deutschland sichergestellt werden könne, dass es keine unbeherrschbaren Risiken gebe, während dies bei importiertem Gas nicht der Fall sei. Dieses Argument wird vor allem geltend gemacht wenn es darum geht, ob überhaupt in Deutschland die Ausbeutung vorangetrieben werden soll.
Nach der Veranstaltung wurde die angeregte Diskussion in entspannter Atmosphäre in einem nahegelegenen Restaurant fortgesetzt.
Schlagworte:Energie, Schiefergas, Fracking, Chemikalien, Klimaschutz, Industrie, Risiko, Technologie, Bohrungen, Wasser