Grenzen des Flussgebietsmanagements
Folgt die Wasserwirtschaft dem falschen Ansatz?
- Publikation
- Zitiervorschlag
von Keitz, Stephan und Peter Kessler 2008: “Grenzen des Flussgebietsmanagements - Folgt die Wasserwirtschaft dem falschen Ansatz?” KW - Korrespondenz Wasserwirtschaft, Jg. 2008, Heft 7, 354-360.
Seit den Konferenzen von Dublin und Rio de Janeiro im Jahre 1992 hat sich die Gewässerbewirtschaftung nach dem Flussgebietsansatz mehr und mehr durchgesetzt. Mit der Wasserrahmenrichtlinie, die alle Mitgliedstaaten zu diesem Ansatz verpflichtet, um ihre ambitionierten Ziele zu erreichen, hat dieser Trend in Europa einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. In der Ausgabe 7/2008 der Fachzeitschrift "KW Korrespondenz Wasserwirtschaft" stellen Stefan von Keitz (Biologe) und Peter Kessler (Jurist), Senior Policy Advisor bei Ecologic, den Flussgebietsansatz auf den Prüfstand und führen eine Reihe von Argumenten an, die für eine zurückhaltende Verwendung des Flussgebietsmanagements sprechen. In der folgenden Ausgabe (8/2008) derselben Zeitschrift widerspricht ihnen der Hydrologe Prof. Uwe Grünewald und plädiert für eine konsequent umgesetzte integrierte Wasserbewirtschaftung im Flusseinzugsgebiet.
Stefan von Keitz, vom Hessischen Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz, und Peter Kessler argumentieren, dass ein Flussgebiet zwar aus hydrologischer Sicht eine Einheit darstellt, in der sich der Niederschlag sammelt und an einer Stelle als Fließgewässer ins Meer gelangt. Aber bereits für das Grundwasser stellt sich die Situation weniger eindeutig dar. Die jeweiligen Wasserkörper der Oberflächengewässer und des Grundwassers sind nicht deckungsgleich. Ein Flussgebiet ist im Allgemeinen auch kein abgegrenzter Naturraum oder Ökosystem. Schon bei der Bestandsaufnahme traten die ersten Probleme auf, so bei der Abgrenzung der Wasserkörper und bei der ökonomischen Analyse. Die WRRL selbst enthält mit der Typologie von Flüssen und Seen Aspekte, die keinen Bezug zum Flussgebiet als solchem haben. Flüsse desselben Typs können in mehreren Flussgebieten vorkommen.
Auch die Belastungssituation, zum Beispiel durch die Landwirtschaft oder urbane Gebiete, orientiert sich nicht an Flussgebietsgrenzen und Lösungen für durch diese Aktivitäten hervorgerufene Probleme müssten eher auf regionaler, nationaler oder europäischer Ebene als auf Flussgebietsebene formuliert werden. Beim Grundwasser, beim Flussgebietsgrenzen überschreitenden Wassertransfer, im Hinblick auf den medienübergreifenden Ansatz (Boden, Luft, Wasser) und innerhalb der Verwaltung treten bei stringenter Anwendung des Flussgebietsansatzes beachtliche funktionale Probleme auf.
Peter Kessler und Stefan von Keitz schlagen deshalb vor, den Flussgebietsansatz auf die Themen zu begrenzen, bei denen der hydrologische Zusammenhang von Bedeutung ist. Hierzu zählen sie die Oberlieger-/Unterliegerproblematik, das Wärmereglement und Hoch- und Niedrigwasserregelungen.
Prof. Uwe Grünewald widerspricht dieser Darlegung. Er führt an, dass das Einzugsgebiet der entscheidende Betrachtungsraum ist für z. B. jegliche naturwissenschaftlich fundierte wasser- und stoffhaushaltliche Bilanzierungen. Landnutzungsentscheidungen in den Einzugsgebieten bestimmten über die Qualität und Quantität der Gewässer. Aus seiner Sicht führen Bewirtschaftungsentscheidungen häufig zu Fehlern, wenn sie administrativ, institutionell oder politisch motiviert sind und die Wechselwirkungen und Prozesse im Flussgebiet außer Acht lassen. Überdies zeige sich beim Übergang von der traditionellen zur integrativen Wasserbewirtschaftung, dass vor allem institutionelle Zwänge – Gesetze, Verordnungen und Statuten – eine nachhaltige Bewirtschaftung der Wasserressourcen verhindern und weniger naturwissenschaftliche oder technologische Begrenzungen.
Prof. Grünewald räumt ein, dass die integrierte Gewässerbewirtschaftung nach dem Flussgebietsansatz eine schwierige Herausforderung, besonders für einen föderal organisierten Staat darstellt. Er kommt aber zu dem Schluss, dass nicht der Flussgebietsansatz das Problem zu sein scheint, sondern eher ein (übertriebener) Föderalismus. Im Gegensatz zu Peter Kesslers und Stefan von Keitzs "Plädoyer für einen zurückhaltenden Umgang mit dem Flussgebietsansatz" spricht sich Prof. Grünewalds für einen "offensiven Umgang mit dem Flussgebietsansatz" aus.
Insbesondere im Zusammenhang mit den zu entwickelnden Anpassungsstrategien an den globalen und regionalen Wandel schlägt er eine stärkere Bündelung der Sach- und Fachkompetenz bei der integrierten Wasserbewirtschaftung vor. Dies könne z. B. in Form weiterer einzugsgebietsbezogener Wasserbewirtschaftungsverbände geschehen, die sich in Deutschland unter anderem an der Ruhr bewährt haben.
Der Fachdiskurs von Stephan von Keitz und Peter Kessler erschien in der Fachzeitschrift "Korrespondenz Wasserwirtschaft" 7/2008 und steht auf der Website der Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. als kostenpflichtiger Download zur Verfügung.