Der besonders hohe Männeranteil in der Bevölkerung einiger asiatischer und auch europäischer Länder hat im Europäischen Parlament zu Bedenken bezüglich der Diskriminierung von jungen Mädchen geführt. Dies geht mit Praktiken wie Vernachlässigung, gezielter Abtreibung von weiblichen Föten oder gar der Tötung von Neugeborenen einher. Die vorliegende Studie vom Overseas Development Institute, UK (Projektleiter) und vom Ecologic Institut für das Europäische Parlament gibt einen Überblick über die Ursachen, derzeitigen Entwicklungen, Auswirkungen und politischen Herausforderungen von geschlechtsabhängiger Diskriminierung mit Schwerpunkt auf China und Indien. Die Studie fasst einige Empfehlungen für das Europäische Parlament zusammen, um dieses Problem zu bekämpfen. Sie steht zum Download zur Verfügung.
Im Jahr 1990 schrieb Amartya Sen, dass ganze 100 Millionen Frauen weltweit "fehlen". Sen berichtete schon damals über Praktiken, die zu einer größeren Überlebensrate von Jungen führen und die in mehreren Ländern, vor allem in Zentral- und Südost-Asien, praktiziert werden. Diese Praktiken haben sich von der früher häufiger auftretenden Kindestötung von weiblichem Neugeborenen inzwischen zu "modernen" Techniken, wie geschlechtsabhängigen Abtreibungen verschoben. In Länder, in denen diese Praktiken angewendet werden, sind die Raten von neugeborenen Jungen zu Mädchen höher als die biologisch normale Rate von 102 bis 106 Jungen pro 100 Mädchen. 2011 wurden in China zum Beispiel 118 Jungen pro 100 Mädchen geboren und in Indien waren es 109 Jungen pro 100 Mädchen. Dieses Ungleichgewicht, das besonders stark bei Zweit- und Drittgeborenen auftritt, blieb trotz der Einführung von Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von geschlechtsabhängigen Abtreibungen und Kindesmord bestehen.
Die Autorinnen der Studie diskutieren drei Hauptfaktoren, die zum steigenden Ungleichgewicht der Geschlechterverhältnisse im späten 20. Jahrhundert beigetragen haben:
- die Geburtenrate fiel in Asien und damit die Familiengröße (vor allem in China nach der Ein-Kind-Politik),
- Ultraschall wurde großflächig zur Verfügung gestellt und machte es möglich, das Geschlecht eines Fötus zu bestimmen, und
- die Politik konnte die kulturelle Präferenz für Söhne nicht ändern.
Das Überangebot an Männern im Vergleich zu Frauen in diesen Ländern kann negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Für Männer wird es schwieriger, Partnerinnen zu finden, was zu psychischen Störungen und sozialer Isolation führen kann. Einige Studien zeigen auch, dass männlich-dominierte Bevölkerungen höhere Raten von Kriminalität, Menschenrechtsverletzungen, Prostitution, Drogenhandel und sexuell übertragbaren Krankheiten aufweisen. Die Misshandlung von Frauen und der Druck, männliche Nachkommen zur Welt zu bringen, haben in einigen Ländern weiterhin zu höheren Suizidraten bei Frauen geführt.
Trotz dieser negativen Auswirkungen sind geschlechtsabhängige Abtreibungen schwer zu verhindern, da das medizinische Personal oft davon profitiert und die Präferenz für das männliche Geschlecht in diesen Kulturen tief verwurzelt ist. Dennoch sind die Autorinnen optimistisch, dass geschlechtsabhängige Abtreibungen in China und Indien bereits ihren Höhepunkt erreicht haben und sich aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit und verbesserter Chancen und Rechte für Frauen verringern werden.
Am Ende der Studie empfehlen die Autorinnen dem Europäischen Parlament, diese Themen in der wirtschaftlichen und Entwicklungszusammenarbeit mehr zu betonen, um sie in verschiedenen Politikfeldern relevant zu machen.
Die Ergebnisse dieser Studie wurden im Juni 2012 am Europäischen Parlament vorgestellt.
Die Studie [pdf, 885 kB, Englisch, Französisch] steht zum Download zur Verfügung.