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Raus aus dem Elfenbeinturm. Die Umweltpolitikforschung und die Zivilgesellschaft

Prof. Dr. Dieter Rucht
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Raus aus dem Elfenbeinturm. Die Umweltpolitikforschung und die Zivilgesellschaft

Veranstaltung
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Ort
Berlin, Deutschland
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In der fünften Veranstaltung der Reihe "Vom 'blauen Himmel über der Ruhr' bis zur Energiewende" waren am 4. Dezember 2013 Prof. Dr. Dieter Rucht und Dr. Thomas Jahn in das Ecologic Institut geladen, um über das Verhältnis zwischen Umweltpolitikforschung und der Zivilgesellschaft zu diskutieren.

Gegenexpertise aus Widerstandsbewegung war notwendig

Dr. Thomas Jahn ist Sprecher der Institutsleitung und Mitbegründer des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) und gehört damit seit der Gründung des ISOE 1986 zu den führenden Köpfen der Umweltpolitikforschung. Mit Prof. Rucht, ehemals am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und am Institut für Soziologie an der Freien Universität Berlin, war ein Experte für die Forschung über soziale Bewegungen und politischen Protest anwesend. Prof. Rucht war als Vorstandsmitglied des Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. in den späten siebziger Jahren wesentlich an der damaligen Umweltbewegung beteiligt. Er beleuchtete den Zusammenhang zwischen den Umweltbewegungen bzw. der Anti-Atomkraftbewegung und den ersten Forschungs- und Beratungsinstituten für Umweltpolitik. In der staatlichen Bürokratie und in der Wissenschaft gab es zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich Atomkraftbefürworter, woraufhin Elemente der Widerstandsbewegung zu dem Schluss kamen, dass eine "Gegenexpertise" entwickelt werden müsste.

Die Bedeutung lokaler Interessen für den Widerstand gegen das AKW Wyhl

Dr. Jahn erlebte die Proteste gegen das Atomkraftwerk in Wyhl in Freiburg als Student. Er beschrieb, wie sich durch den Konflikt insbesondere das Verhältnis zwischen der lokalen Bevölkerung und den atomkraftkritischen Studenten wandelte. Er erklärte, dass der Widerstand gegen das Kraftwerk Wyhl zu Beginn nicht durch eine grundsätzliche Ablehnung der Atomkraft motiviert war, sondern vielmehr die Eigeninteressen der Umlandbewohner, ob Weinbau oder Viehzucht, entscheidend waren. Als die ländlichen Bewohner realisierten, dass die eher "alternativen" Studenten ihnen bei der Bekämpfung des AKWs in wissenschaftlichen Fragen behilflich sein konnten, schrumpfte die kulturelle Distanz zwischen den beiden Gruppen, sie wurden vereint durch die ihnen gemeinsame Ablehnung des AKWs.

Deutscher Stabilitätsgarant: Vereinsbildung statt loser Strukturen

Infolge der Anekdoten aus der Freiburger Region bemerkte Prof. Rucht, dass regionale Netzwerke eine große Rolle bei der Entstehung von Bewegungen im Allgemeinen spielen. Es wurden jedoch auch Unterschiede des Bereichs Umweltbewegung – Umweltforschung im Vergleich zu anderen Politikbereichen diskutiert. So gibt es beispielsweise im Bereich Umweltpolitkforschung und -beratung eine größere Dichte an unabhängigen Forschungsinstituten, als in den meisten anderen Politikfeldern. Über die Ursachen herrschten unter beiden Experten geteilte Meinungen: Prof. Rucht führte die hohe Komplexität von Umweltthemen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer fachlichen Fundierung sowie die frühe Präsenz der Grünen Partei als besondere Merkmale der deutschen Umweltpolitik auf. Dr. Jahn hingegen hob eher den damaligen Zeitgeist heraus, der den Widerstand gegen Technisierung und damit eine höhere Wertschätzung von Ökologie beinhaltete. In diesem Zusammenhang wurde auch der Frage nachgegangen, warum sich die Umweltpolitikinstitute in Deutschland meist gut entwickelt haben. Eine der Thesen stellte auf eine sozio-kulturelle Eigenart der Deutschen ab: tendenziell neigten die Deutschen dazu, lose Strukturen durch Vereinsbildung zu verfestigen. Dies wirke in unruhigen Zeiten als Stabilitätsgarant.

In der anschließenden Diskussion wurden unter anderem folgende Fragen diskutiert:

  • Ist Nachhaltigkeit ein zukunftsfähiges Konzept?
  • Was bedeuten die Institute heute noch?
  • Ist der Begriff "Zivilgesellschaft" in seinem heutigen Gebrauch angemessen bzw. geeignet?

Sowohl die hohe Komplexität von Umweltthemen als auch der technisierungskritische Zeitgeist der 70er führten zur Entstehung von unabhängigen Umweltforschungsinstituten.

Kontakt

R. Andreas Kraemer
Founder and Director Emeritus, Ecologic Institute
Visiting Assistant Professor and Adjunct Professor, Duke University
Initiator and Convenor, Arctic Summer College

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veranstaltet von
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Aktive Rolle
Team
Datum
Ort
Berlin, Deutschland
Sprache
Deutsch
Participants
20
Projekt
Projekt-ID
Schlüsselwörter
Politikberatung, Umweltpolitik, Oral History, Ecornet, Prof. Dr. Dieter Rucht, Dr. Thomas Jahn, Zivilgesellschaft, Unabhängigkeit der Wissenschaft, Umweltbewegung
Deutschland
Interview, Podiumsdiskussion